Das Prioritätsrecht (Priorität) ist die Grundlage des internationalen Patentschutzes und erlaubt es dem Anmelder, die ursprüngliche Patentanmeldung innerhalb eines Jahres im Ausland unter Beibehaltung des ursprünglichen Anmeldetags fortzusetzen. In den letzten Jahren wurden immer mehr Patente in Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt (EPA) aufgrund einer unwirksamen Übertragung des Prioritätsrechts widerrufen.
Der Verlust wertvoller Patentrechte aufgrund einer Formalität ist Alexion Pharmaceuticals, Inc. widerfahren, was sie dazu veranlasste, bei der Großen Beschwerdekammer des EPA nachzufragen, wie streng diese Formvorschriften anzuwenden sind. In ihrer lang erwarteten Entscheidung vom 10. Oktober dieses Jahres stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass das Prioritätsrecht mit minimalen Formalitäten übertragen werden kann und dass der Patentanmelder, der die Priorität beansprucht, grundsätzlich Anspruch darauf hat.
Pariser Verbandsübereinkunft
Die Pariser Verbandsübereinkunft von 1883 sieht vor, dass ein Patentanmelder oder sein Rechtsnachfolger das Prioritätsrecht für ein Jahr behält. Diese Bestimmung ermöglichte es Erfindern in einer Zeit langsamer Postdienste, ihre Erfindungen international bei lokalen Patentämtern in einer Vielzahl von Ländern anzumelden. Eine zwischenzeitliche Veröffentlichung der Erfindung innerhalb des Prioritätsjahres schadet der späteren Patentanmeldung nicht, da sie unter Berufung auf das Prioritätsrecht den ursprünglichen Anmeldetag beibehält.
Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer
Nach Anhörung zahlreicher Beteiligter entschied die Große Beschwerdekammer, dass das EPA selbst entscheiden kann, ob ein europäischer Patentanmelder das Prioritätsrecht in Anspruch nehmen kann. Die Grundlage hierfür bildet das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ), das als autonomes “Gesetz” fungiert. Das bedeutet, dass in Verfahren vor dem EPA nicht die nationalen Gerichte der 39 Vertragsstaaten angerufen werden müssen. Dies vereinfacht das Patenterteilungsverfahren und erhöht die Rechtssicherheit.
Darüber hinaus stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass das formale Verfahren zur Inanspruchnahme einer Priorität ausreichende Garantien bietet, um zu beurteilen, ob eine Person, die diese Formalitäten erfolgreich erfüllt, Anspruch auf eine Priorität hat. Um eine Priorität in Anspruch zu nehmen, muss man sowohl eine Kopie der unveröffentlichten Patentanmeldung als auch eine beglaubigte Kopie des Patentamts der Erstanmeldung vorlegen. Dies kann nur mit Zustimmung und unter Mitwirkung des ursprünglichen Anmelders geschehen, der das zu übertragende Prioritätsrecht besitzt.
Schließlich stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass die für eine wirksame Übertragung von Prioritätsrechten erforderlichen Formalitäten nicht strenger sein dürfen als das niedrigste Erfordernis innerhalb der EPÜ-Vertragsstaaten. Da in Deutschland eine konkludente Einigung für eine wirksame Übertragung ausreicht, ist nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer keine schriftliche oder unterzeichnete Vereinbarung erforderlich. In der Praxis bedeutet dies, dass das Prioritätsrecht ein Nebenrecht ist, das eng mit der Übertragung der Patentanmeldung selbst verbunden ist.